ANDRES LASZLO SR.

Paco, der Zuverlässige, spielt in Madrid, ein Ort, den nur Laszlo gut schildern kann, Anfang 1940. Hier finden wir Paco García, der sich seinen Lebensunterhalt damit verdient, junge Mädchen, viele vom Land, zu schwängern: die Mädchen, die nach Madrid gekommen sind, um sich ihr Lebensunterhalt als Ammen zu verdienen. Dies war ein richtiger Beruf und die “Befruchtung“ hatte eine gute Aussicht auf Erfolg und eine große Nachfrage. Jetzt kaufen.

Paco sieht sich selbst als ein seriöser und professioneller Mann und ist entschlossen, das in seinem Fachgebiet verdiente Gehalt rechtzufertigen. Allerdings hat Paco, einmal fehlgeschlagen, den größten Wunsch seiner Frau zu erfüllen: schwanger zu werden, und das ist natürlich ein wichtiges Anliegen. Als seine Frau dann plötzlich und unerwartet schwanger wird, kompliziert sich Pacos Welt. Ist er wirklich der Vater? Weitere Informationen über den Autor und sein Werk unter www.andreslaszlo.com. Die Übersetzung vom ursprünglichen spanischen Text wurde von Claudia Drescher Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! durchgeführt. 

BÜCHER IN DEUTSCHER ANDRES LASZLO SR.

PACO, DER ZUVERLÄSSIGE

Andres Laszlo Sr.

 TEIL EINS

Francisco García – oder besser gesagt, Francisco León García Linares – war ein ehrlicher Bürger, der an Gott glaubte und ihn vertraute. Vielleicht ist genau das die Erklärung seiner plötzlichen Reue, die er verspürte, als er den gerade erworbenen Revolver in seine Hosentasche gleiten ließ. Das kalte Metall durchbohrte sofort das schon verschlissene Futter, verformte die Linie seiner Hose und störte ihn beim Laufen, da es bei jedem zweiten Schritt auf seinen Oberschenkel schlug.

Francisco verlangsamte weiterhin seine vorsichtigen Schritte. Sofort unterzog er sich einer körperlichen Entlastung, die er ausnutzte um mit größerer Sorgfalt seine intimen Probleme zu untersuchen, die auf ihn zukam.

Die Wahrheit ist, dass er es schon ein wenig bedauerte die Pistole gekauft zu haben. Es kam ihm so vor, als würde die angeschwollene Hosentasche die Aufmerksamkeit von jedem Passanten auf sich ziehen. Als er um die Ecke kam blieb er zögernd vor einer Taverne stehen, die er kannte. Er konnte das Geräusch eines Radios hören, das die Tagesnachrichten durchgab. Plötzlich überkam ihm die Inspiration, er ging hinein, bestellte sich ein Glas Wein an der Theke und ging auf die Toiletten am Ende des Flurs zu.

Dort zog er den Revolver heraus und sah sich gezwungen die Funktionsweise zu bemustern, was er beim Kauf vernachlässigt hatte. Unnötig zu erwähnen, dass dieser Kauf den Schauplatz des Flohmarktes hatte und dass er auf offener Strasse durchführt wurde, inmitten einer Menge von Zuschauern und Käufern.

Abgesehen von der alten Doppelflinte, die er vor dreißig Jahren mal hatte, hat Francisco García nie eine Waffe besessen. Daher auch seine Ungeschicklichkeit beim Herausnehmen der Kugeln. Er schaute durch das Trommelloch und zielte auf die von den Fliegen voll geschissene Glühbirne, die über das Waschbecken hing. Er wollte das Risiko nicht eingehen und den Abzug der alten deutschen Erfindung abdrücken, bis wirklich kein Projektil mehr enthalten war.

Er wiederholte das Manöver mehrmals und hustete laut dabei, um das Klicken vom Abzug zu übertönen für den Fall, dass das Radio nicht laut genug wäre. Danach wickelte er den Revolver in sein Taschentuch und ließ das Paket in seine Hosentasche verschwinden. Dann ging er zur Theke und trank ein Glas Rotwein.

Gemischte Gefühle bewegten ihn. Sein Ego war zufrieden: der seltsame junge Mann, der ihm die Waffe verkauft hatte, hat ihn nicht aufs Kreuz gelegt, denn die Pistole funktionierte einwandfrei. Für achtzig Peseten hatte er in seiner Hand das Leben sechs Männer. Das war genau die Anzahl der Kugeln, die in der Trommel waren. Es gab keinen Zweifel, dass er eine gewisse Macht verspürte. Die Macht, jedoch, ist immer mit einer gewissen Verantwortung verbunden.

Wie gesagt, sein Mut erlag dem Widerspruch, dessen zweites Element ein nicht so definierbares Gefühl war. Es war eher ein vages Gefühl der Reue, was Francisco García empfand.

„Du sollst nicht töten, das ist ein Gebot“ wiederholte er uninteressiert.

Dann bezahlte er und ging nach Hause zum Mittagessen.

Die Sonne brannte und ließ nur einige wenige Schattenstreifen zu. Francisco García marschierte auf dem Asphalt, der durch die Hitze aufgeweicht und manchmal sogar schon fast geschmolzen war. Er achtete sehr darauf, dass seine schon ausgeleierten Schuhsohlen nicht aus dem Leim fielen. Wie alle stolzen Madrilenen trug auch er einen schwarzen Anzug, eine strenge schwarze Krawatte, ein weißes Hemd mit gestärktem Kragen und Manschetten. Es war mehr oder weniger wie eine Uniform des kleinen Bürgers, bewusst und organisiert, und dem man partout die Nachteile solcher Kleidung bei so einer Hitzewelle nicht erklären könnte.

*

Im Schaufenster einer Agentur sah er ein Plakat mit der Ankündigung eines Stierkampfes am nächsten Sonntag. Sein Blick fiel auf die Namen der drei Espadas, Stierkämpfer für Jungtiere, und ihm wurde schlecht dabei.

„Drei Trottel auf dem besten Platz in Spanien und dann noch mitten in der Saison!“

„Das darf doch nicht wahr sein“ sagte ein Mann, gewissen Alters, empört, der neben ihm stand und gerade sein Enkelsohn von der Schule abgeholt hatte.

Mürrisch setzte Francisco García seinen Weg fort.

„Wenn ich doch nur wüsste warum ich den Revolver gekauft habe!“ nörgelte er im Treppenhaus. Die Stufen stieg er mit einer berechneten Steifigkeit hoch, aus Angst er würde den Kragen seines Hemdes mit einer unbeherrschten Bewegung verderben.

Um ehrlich zu sein, hätte er keinen vernünftigen Grund gefunden. Er wusste nicht, dass er in dem Moment irgendwelche Feinde hätte und es schien ihm, als hätte er niemals welche gehabt. Er befand sich nicht in der Situation aus irgendeinem Grund beneidet zu werden. Nie hatte er jemanden verletzt, aber auch nichts Gutes getan, denn er kannte die unglücklichen Folgen, die aus einer solchen Initiative in seinem sonnigen Spanien führen konnte. Er hatte nie was mit Politik am Hut, noch nicht einmal während des Bürgerkrieges, den er ohne die Uniform getragen zu haben beschnuppert hatte, obwohl er die ganze Zeit in Madrid lebte. Wie die meisten seiner Landsleute, hatte auch er eine Schwäche für die Deutschen. Jedoch im Mai 1935, auf der Terrasse eines Cafés, gab ihm ein Angestellter eines deutschen Reisebüros zu wissen, dass alle Einwohner aus der Provinz Toledo aufgrund ihrer zweifelhaften Herkunft als Nationalsozialismus verdächtigt sind, also Semiten seien. Francisco dachte zuerst, dass sein junger Gesprächspartner Witze machte, aber dann jedoch war er sehr erstaunt, als er den Nachnamen Linares erfuhr, der zweifellos sephardisch war und der zumindest als Halbjude gemäß den definierenden Gesetzen der Ariern und Juden betrachtet wird.

Mit dieser Offenbarung endeten seine germanistischen Gefühle, nachdem, und fast ohne Übergang, seine Sympathien für die Verteidiger der Menschenrechte galten. Aus diesem Grund blieb er seit dem Ausbruch der Revolution in der Hauptstadt. Aber die ersten Verbrennungen von Kirchen und Klöster nahmen ihm all seine politischen Sorgen, oder besser gesagt, haben ihn bis ans Ende seiner Tage immunisiert. Nicht zu verstehen, dass er sich von den Priestern angezogen fühlte, im Gegenteil, er verspürte eine Art Abneigung.

Aber er liebte die Kirchen.

Ende 1935, als es praktisch keine jungen Männer mehr gab, die fähig waren eine Waffe zu greifen, da sich alle unter der Flagge der einen oder anderen Seite befanden, wurde er in die Armee eingewiesen trotz seiner Verzögerungstaktik und obwohl er sich nicht mehr in seiner frühen Jugend befand. Gerade erst hatte er die Uniform an, da wurde er auch schon von seinem Oberst zur Rede gestellt. Aus Mangel eines besseren Arguments, sah er sich gezwungen seinem Vorgesetzten zu beichten, womit er sein Geld verdient hatte. Der Oberst lachte, lud ihn zum Essen ein und am nächsten Tag gab er ihn ins Zivilleben zurück. Der ehrenvolle Soldat fand es nicht lustig, dass der Name seines Regiments mit dem eines fremden Rekruten assoziiert wurde.

Denn Francisco García war schon seit vielen Jahren berühmt. Er war eine legendäre Figur. So berühmt, dass die Lieder an den Pranger und unzählige Geschichten auf seine Kosten im Umlauf in ganz Spanien liefen, zwischen jung und alt, in den Dörfern und Städten. Alle nannten Paco vertraut: Paco, der Zuverlässige.

Er wohnte im dritten Stock eines alten Gebäudes in einer Wohnung, die aus einem Schlafzimmer und Küche bestand. Je älter er wurde, desto gezwungener sah er sich, öfter auf der Treppe Halt zu machen und nach Luft zu schnappen, aber er wusste, dass diese Pausen keine Zeugen hatten.

Kaum überquerte er die Schwelle der Küche, die zur gleichen Zeit auch als Eingang diente, wusste seine Frau, dass er schlechte Laune hatte. Es reichte ihr sein charakteristisches Schleifen mit dem rechten Fuß zu hören. Dieses Zeichen hat sie noch nie getäuscht und sie nahm es als Warnung vom Himmel.

“Hallo Maria!” sagte Paco trocken zu seiner Frau, während sie sich beeilte seine Jacke zu nehmen.

Er hielt seine Hände unter dem Wasserhahn, wechselte sein schweißgebadetes Hemd durch eine Pyjamajacke aus und setzte sich an den Tisch vor einem dampfenden Teller mit Eintopf. Mann und Frau wechselten nicht ein Wort, noch nicht einmal als Maria den frittierten relativ frischen Thunfisch an den Tisch brachte, den sie gleichgemäß aufteilten. Auch nicht, als sie ihm ein Steak mit Pommes brachte. Ereignis, was er nur ganz selten kritik- oder kommentarlos begrüßte. Paco aß das Fleisch und Maria die Pommes. Seit fünf Jahren, das heißt seit Beginn der Revolution, verzichtete sie auf Fleisch, da es ihr kleines Haushaltsgeld zu sehr überlastete und die Harmonie ihrer Ehe beeinträchtigte.

Maria wollte eigentlich was sagen, aber als sie sah, dass ihr Mann den so hart herbeizuschaffenden Käse Cabrales nicht einmal anfasste, dachte sie es sei klüger, den Mund zu halten.

Während sie den Tisch abräumte, zog Paco seine Schuhe aus und ging in das Zimmer, wo dank der zugezogenen Vorhänge eine etwas erträglichere Atmosphäre herrschte, trotz der drückenden Hitze.

Er hatte noch nicht einmal seine Hose ganz aufgeknöpft, als er spürte wie der Schlaf ihn überfiel. Seine Hände ließen das Kleidungsstück fallen. Hose und Revolver fielen auf den Boden und erzeugten ein beunruhigtes Geräusch.

“Was ist mir dir los?” fragte Maria und guckte in das Zimmer.

“Nichts” sagte der Mann und zog seine Hose hoch, als würde er sich schämen. “Was denkst du denn, was los sein soll?”

Zum ersten Mal in seinem Leben schlief er die Siesta ohne seine Unterhosen auszuziehen.

Das heißt, er hätte sein Mittagsschläfchen gehalten, wenn er hätte schlafen können. Jedoch wurden die Probleme, die ihn vor dem Mittagessen plagten, nun komplizierter. Auf die Frage warum er den Revolver überhaupt gekauft hat, kam nun eine andere dazu: was damit tun? Wo soll er sie aufbewahren? Er schaute um sich herum und inspizierte Möbel und Ecken um ein geeignetes Versteck zu finden. Die Aufgabe schien jedoch schwierig. Das Zimmer war nicht gerade groß, nur die unbedingt notwendigen Möbelstücke standen im Raum und die hauswirtschaftliche Tugend von Maria machte die ganze Angelegenheit noch komplizierter. Schließlich, und mit tausend Vorsichtsmaßnahmen, nahm er das Kohlenbecken unter dem Bett hervor, wo es seinen Sommerschlaf hielt, und versteckte dort die Waffe zwischen der Kupferplatte und dem Holzuntergrund.

Nun hatte er noch eine gute halbe Stunde die er ausnutzte, um ein Nickerchen zu machen und sich zu erholen. Zumindest vorübergehend ist er wieder ins Gleichgewicht gekommen.

Er wachte auf, machte sich schnell frisch, kämmte sein Haar und hatte noch die Geduld, ein halbes Duzend graue Haare aus seinem Schnurrbart zu entfernen, die sich heimtückisch mit den anderen vermischten.

“Gibt es was Neues?” fragte er seine Frau verabschiedend als er die Türschwelle überquerte.

“Pacita sagte, sie würde um halb sechs kommen”

“Welche Pacita”?

“Die von dem Rechtsanwalt”.

“Ach so!” sagte Paco, als würde er sich an sie erinnern. “Falls ich etwas später kommen sollte, dann soll sie auf mich warten.”

Es war kurz nach vier als Paco die Drehtür von “El Dorado” betrat. Er sah Gutiérrez und Ambroise, die am üblichen Tisch saßen. Ambroise fächelte sich mit der Zeitung Wind ins Gesicht, obwohl er direkt vor dem Ventilator saß. Als er Gutiérrez sah, zeichnete sich in Pacos Auge eine Falte ab. Er fand ihn zu jung, um einer seriösen Männerfreundschaft würdig zu sein. Paco gefiel noch nicht einmal seine Herkunft – er kam ursprünglich von den Kanarischen Inseln -, auch nicht sein Ambiente – sein Vater war ein reicher Bananenexporteur. Was ihn jedoch am meisten störte war, dass er sich der Malerei widmen wollte und sich schon wie ein vollendeter Künstler verhielt.

Zu Ambroise hingegen verspürte er eine große Sympathie. Von ihm hatte er eine bessere Meinung. Seit zehn Jahren lebte er in Madrid und sprach ein perfekteres Kastillisch als jeder beliebige der das gewöhnt war, obwohl er das mit einer bestimmten Finesse tat. Zu seiner Zeit war er Professor für Geschichte an einer Landesschule in Frankreich und die öffentlichen historischen Zeitschriften in Paris enthielten manchmal kleine Artikel, die mit seinem Namen unterzeichnet waren. Jedoch eines Tages quittierte er den Dienst in der Hochschule, löste all seine Angelegenheiten auf und nahm den Zug nach Madrid. Eigentlich wollte er dort nur für einige Wochen bleiben, oder höchstens ein paar Monate, aber das Leben in Madrid, das aus Sorglosigkeit und Leichtigkeit bestand und für das die Zeit nicht zählte, verführten ihn so sehr, dass er für immer in der spanischen Hauptstadt blieb.

*

Paco hatte erwartet, ohne es formuliert zu haben, dass er ihn alleine auffinden würde und dass er eine lange Unterhaltung mit Monsieur Ambroise haben könnte. Es war übrigens eine ungerechtfertigte Hoffnung, denn zu der Stunde saßen viele Menschen am Tisch.

“Ist das heiß!” stöhnte der Maler, um sich zu Wort zu melden und auch nicht gerade sehr empört, denn er war der einzige, dessen Hemd nicht nass geschwitzt war. “Achtunddreißig Grad im Schatten!” konkretisierte er.

“Nur sechsunddreißig” verbesserte Paco trocken.

“Ich habe es gerade am Thermometer an der Apotheke gesehen”

“Im Retiro haben sie fünfunddreißig. Das hat gerade eben das Radio gesagt.”

“Ja, aber der Retiro ist ein Park voll mit großen Bäumen” antwortete der Maler “ohne den Teich zu berücksichtigen”.

Ricardo, der alte Kellner, erschien mit einer Tasse Kaffee und einem halbvollen Glas Cognac auf dem Tablett. Seine linke Hand war frei und er hatte die Absicht, Paco die Hand zu schütteln, bevor er servierte.

“Nur, dass die Apotheke in der Puerta del Sol ist und niemand würde sie mit einem Kühlschrank vergleichen”.

“Sogar die Kinder wissen, dass es die wärmste Ecke in Madrid ist” betonte Paco und schlug mit seiner Handfläche auf den Tisch.

Er sprach mit ruhiger Stimme, unpersönlich, aber sein Ton ließ verstehen, dass er nicht den Wunsch hatte, diese Debatte fortzusetzen.

Er guckte sich suchend um und durch den schon dicken Rauch, der im Raum schwebte, entdeckte er Ramon, der Schuhputzer, der mit den täglichen Zigarren erscheinen müsste. Schließlich entdeckte er ihn am anderen Ende des Raumes, genau vor dem ersten Tisch vor dem Eingang und durch seine Zeichen verstand er, dass er sofort kommen würde, sobald er seinen Kunden bedient hatte.

Von einem Kollegen unterstützt, putzte Ramon pflichtgemäß die Schuhe eines betrunkenen Andalusier, der mit einem breitkrempigen Hut bekleidet war. Der Anblick dieses jungen Mannes, verfallen in der roten bis ins Gewebe verschlissenen Samtcouch und die Sklaven niederkniend vor seinen Füßen, war in Madrid sehr verblüffend und sicherlich auch in ganz Andalusien. Der Zweck der ganzen Sache war sicherlich, die Aufmerksamkeit der Kunden über die großzügige Geste dieses originellen Kunden zu gewinnen.

Die Aussicht auf eine Zigarre lockte Paco nicht all zu sehr, denn er hatte sich entschieden, auf diesen Luxus drei oder vier Wochen zu verzichten. Die Zeit, die er brauchte, um das Loch des Haushaltsgeldes wieder zu stopfen, was er durch den Kauf des Revolvers verursacht hatte. Andererseits nahm ihm die Zigarre nicht den Schlaf. Er rauchte eigentlich nur weil jeder respektabler Mann seine Zigarre rauchte und den Kaffee nach dem Mittagessen genoss. Man raucht. Genauso wie ein Glas Cognac oder Anis serviert wird. Cognac gefiel ihm eigentlich auch nicht so sehr, aber das gestand man nur sich selber. Eine gründliche Analyse dieser Angelegenheiten würde ihn zu einer anderen Frage bringen: Warum ließ man ein drittel seines Einkommens in diesem Lokal voller Rauch?

Aber, was soll´s? Jeder handelte auf die gleiche Art und Weise. Zumindest all die Menschen, die zu leben wissen.

Unterdessen kam Ramón mit der Zigarrenkiste. Paco zögerte nicht. Wenn er alleine an dem Tisch mit Monsieur Ambroise gesessen hätte, der nichtsdestoweniger auch nur ein Fremder war, hätte er vielleicht den Mut gehabt, dem Schuhputzer zu sagen, dass er ein Kratzen im Hals hatte und lieber warten wolle bis es vorbei wäre. Aber vor diesem verdammten Maler konnte er diese gut ausgedachte Ausrede nicht anwenden.

Seine fachlichen Finger fummelten, ohne einen Blick zu werfen, in der Kiste und wählten die beste Habana aus, die direkt von den Kanarischen Inseln eingeführt wurden. Die Bezahlung einer Zigarre war an sich ein Ritual. Mit einer großen Geste überreichte man dem Verkäufer einen Schein, mit dem er ein kleines und sicheres Einkommen hatte. Natürlich bezahlte man im Tabakladen nicht mehr las den etablierten Preis. Aber, wer kauft eine Zigarre im Tabakladen? Das wäre so, als würde man sich die Jackentaschen mit Hindernissen befüllen, die für diesen Zweck nicht vorgesehen waren und wo die Zigarren kaputt gehen könnten. Deswegen werden Zigarren nicht im Tabakladen gekauft und Streichhölzer auch nicht. Jeder kauft Streichhölzer auf der Strasse, mit einem Plus am Süßwarenstand oder vom Zeitungsjungen. Nur die geizigen Alten machen aus der Regel eine Ausnahme.

„Wenn ich doch nur wüsste, warum ich den Revolver gekauft habe!“

Sein Blick blieb bei Señore Ambroise stehen, der in seiner Zeitung vertieft war. Paco setzte seinen angefangenen Ritus fort: seine kräftigen Finger enthüllten das Cellophan der Zigarre, aus der er eine Fackel formte. Er zündete ein Ende an, dann tauchte er es in die fast leere Tasse ein und zündete die Zigarre mitten im Kaffeedampf an, der abrupt aus der Tasse entwich.

Das Reflektieren des dicken Steines, der in einem Silberring eingepasst war und am kleinen Finger glänzte, die dünne mit Silber überzogene Kupferkette, die er an seinem Handgelenk trug, hob die Pracht der Zeremonie noch mehr hervor. Paco wollte keinen Skandal provozieren, was ihn anging, er wollte damit nur ein Zeichen des guten Geschmacks und den Respekt der Tradition kundgeben.

Für einen Moment wartete er noch, allein mit dem Franzosen sein zu können, aber als Juanito, der Maler, noch einen Kaffee bestellte, bezahlte Paco sein Getränk und ging.

Auf der Plaza Mayor trat er in einer Vermittlungsagentur ein. Er sagte zum Angestellten, der sich hinter dem Fenster befand, dass er ihn dem Direktor ankündigen sollte. Dann setzte er sich neben einem Dienstmädchen, die auf einer langen weißen Holzbank wartete. Paco überkreuzte seine Beine und versuchte seine Ideen in Ordnung zu bringen und seinen Ton für sein Gespräch vorzubereiten. Der Direktor der Agentur, Don Federico, der auf einer indirekten Weise der Arbeitgeber von Paco war, befand sich in seinem Schreibstübchen und blätterte in der ersten Sonntagsausgabe der Zeitung ABC. An der Wand hing ein vergilbtes Foto von Belmonte. Ein überfüllter Karteikasten, ein abgebröckeltes Porzellantintenfass, ein Sessel mit Lederrückteil und eine alte Geldkassette, die in dem Moment siebenhundertfünfzig Peseten und eine halbe Flasche Cognac enthielt, war die Ausstattung, die dem Räumchen ein wenig die Büroatmosphäre vergab.

*

Herr Muñoz beendete seine Lektüre aus den Todesanzeigen, schnitt sorgfältig das Rätsel heraus, zog seine Jacke an, die an der Rückseite seines Sessels lüftend hing und ließ seinen Besucher hinein rufen.

„Wie geht es ihnen? Was gibt’s Neues? fragte er ihn.

„Alles perfekt. Und wie geht es ihnen?“

„Wie immer“.

Don Federico lächelte und dabei kamen seine Goldzähne zum Vorschein. Er ließ sich in seinen Sessel fallen, ganz entsprechend eines Geschäftsführers.

„Ich hoffe, sie kommen nicht um nach Geld zu fragen“

Etwas angepöbelt setzte sich Paco auf seinen Stuhl.

„Ich weiß“ sagte er „dass wir bis übermorgen nicht abrechnen würden. Aber was soll ich ihnen sagen, ich bin blank.“

„Und glauben sie wirklich, dass ich so viel Geld habe, um einen Zug zu stoppen, wie man so schön sagt?“ fragte der Direktor ironisch. „Übertreiben sie nicht, lieber Paco.“

„Ich habe so was nicht behauptet“ protestierte der andere „und da denke ich auch nicht dran. Aber sie wissen“ fügte er mit versöhnter Stimme, um Fäden zu glätten, hinzu, „dass man für Personen wie ich es bin sagt, dass der Dienstag immer länger ist als der Montag“.

„Was auch immer“ sagte Don Federico großmütig und damit abgefunden griff er nach einer dunklen Brieftasche „Ich bin jedoch zuversichtlich, dass dies das letzte Mal ist, das sie mich für die Bank von Spanien halten. Was schulden wir ihnen bis zum heutigen Tag?“„Sechs mal fünfzig Peseten“ sagte Paco nach einer kurzen Bedenkzeit und fügte mit bestimmter Stimme hinzu: „Das heißt dreihundert Peseten.“

„Ich glaube, sie täuschen sich“ behauptete der andere fad und öffnete sein Verzeichnisbuch. „Mal sehen: Freitag, Lola... Richtig?“

„Korrekt“

„Samstag... Mal sehen, was war Samstag...... Samstag, Concha. Nicht wahr?“

„Ja, stimmt.“

„Montag... Montag... Montag, Maria Dolores.“

„Richtig.“

„Dienstag, die dicke Concha.“

„Ja, die dicke.“

„Mittwoch, Mittwoch... Hier sehe ich niemanden. Entschuldigung, ich habe mich versehen. Mittwoch, Blanquita. Stimmt´s?“

„Ja.“

Der Direktor klappte sein Verzeichnisbuch zu. Sein Gesichtsaudruck wurde streng.

„Also insgesamt fünf und nicht sechs, mein lieber Paco. Und fünf Mal fünfzig, hin oder her, ergeben nicht mehr als zweihundertfünfzig.“

„Es ist nur“, so Paco etwas unangenehm „ich habe die Arbeit von heute mitgezählt.“

Don Federico suchte nach mehreren alternativen Argumenten, die er seinem Gesprächspartner vorhalten könnte, aber die Diskussion ermüdete ihn und er wollte den aufdringlichen Anfragenden lieber loswerden. Er bezahlte Paco das Geld und verwunderte sich, als der andere, anstatt sich zu verabschieden, sich verpflichtet fühlte, den wahren Grund für seinen Besuch mit einer gewissen Schüchternheit vorzutragen.